Impuls zum 15. Juni 2025
Von Ferdinand Kerstiens (Marl), pax christi Münster
Dreifaltigkeitsfest
Unsere Erfahrung mit Gott – Konsequenzen für die Kirche
Hermann Volk, mein Professor in Studienzeiten und späterer Kardinal von Mainz, erzählte einmal während der Vorlesung zur Gottesfrage aus seiner ersten Kaplanszeit: „Ich hatte gerade meine erste Predigt auf meiner ersten Stelle gehalten. Nach der Messe kam ich in die Sakristei und der Pastor sagte mir: ‚Die Predigt hat wohl nur der Heilige Geist verstanden.‘“ Hermann Volk im Rückblick auf diese Erfahrung: „Was sollte ich machen. Es war das Dreifaltigkeitsfest.“
So erging es mir auch in meinem Theologiestudium. Die Lehre von der Dreifaltigkeit hörte sich an wie eine hochkomplizierte Spekulation über das Verhältnis von Person und Wesen, von Einheit und Dreiheit, von Zeugung und Hauchung in Gott. So heißt es ja auch jetzt noch in der Präfation zum heutigen Fest: „So beten wir an im Lobpreis des wahren und ewigen Gottes die Sonderheit in den Personen, die Einheit im Wesen und die gleiche Fülle in der Herrlichkeit.“ Wer soll das verstehen? Wie kann man so beten? Muss man dafür erst Philosophie, Theologie und Kirchengeschichte des 4. und 5. Jahrhunderts studieren? Nein, da ist nicht Jesus gekommen und hat eine komplizierte Lehre über Gott verkündet. Schauen wir lieber auf die Glaubenserfahrungen der jungen Gemeinden, die uns näher sind als die späteren theologischen Deutungsversuche.
Römer 5,1-5
„Gerecht gemacht aus dem Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus. Durch ihn haben wir auch im Glauben den Zugang zu der Gnade erhalten, in der wir stehen, und rühmen uns unserer Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes. Mehr noch: wir rühmen uns ebenso unserer Bedrängnisse; denn wir wissen: Bedrängnis bewirkt Geduld, Geduld aber Bewährung, Bewährung Hoffnung. Hoffnung aber lässt nicht zugrunde gehen; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unseren Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.“
Viele Menschen haben in der Begegnung mit Jesus gespürt, dass der unendliche Gott, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Gott der Befreiung aus der Knechtschaft Ägyptens uns in Jesus ganz nahegekommen ist. In ihm ist Gott gleichsam greifbar geworden. In ihm hat er sich gezeigt nicht als der gewaltige Richter der Sünder, sondern als der Vater, der verzeiht und alle zu sich ruft, um ihnen Leben und Heil zu schenken. Gott ist nicht der ferne und unnahbare, sondern erfahrbar in diesem Menschen, der ganz anders ist als die anderen, der auf die Menschen zugeht, gerade auf die, die sonst keine Hoffnung mehr haben. Er hat die Menschen wieder aufgerichtet. Er gibt ihnen ihre Würde zurück, die ihnen von Gott geschenkt ist. Da haben Menschen gesagt: Jesus ist der Sohn Gottes. In ihm erkennen wir den Gott der Väter und Mütter unseres Glaubens wieder. Jesus ist die menschliche Nähe dieses Gottes: „Durch ihn haben wir den Zugang zu der Gnade erhalten, in der wir stehen, und rühmen uns unserer Hoffnung.“
Das anfängliche Vertrauen auf Jesus war bedroht durch sein Kreuz. Wie konnte man die Nähe Gottes in Jesus und sein schreckliches Sterben zusammenbringen? Doch die Erfahrung des Auferstandenen bestärkte die Seinen in der Hoffnung auf ihn. Sie blieben zusammen in seinem Namen. Da spürten sie: Er ist zwar nicht mehr sichtbar da unter uns, aber sein Geist ist noch lebendig, als ob er hier selbst unter uns wäre. Wir spüren, dass jetzt von uns solche Kräfte ausgehen wie damals von ihm, dass wir in seinem Geist miteinander und mit den Menschen neben uns umgehen können. Er lässt uns in der Bedrängnis nicht untergehen, schenkt uns vielmehr Mut mitten in aller Angst und Hoffnung, in aller Bedrohung. In ihm können wir Frieden finden, ganz persönlich für unser eigenes Leben und ebenso gemeinsam in unseren Gemeinden, in unserer Welt. Wir können einander zum Leben dienen. Wir können seinen Frieden leben und weitergeben mitten in den Wirren unserer Zeit.
So wuchs der Glaube an den dreifaltigen Gott: Der Vater als der Urgrund allen Lebens, der Sohn ist die menschliche Nähe dieses Gottes, der durch seinen Geist anwesend und wirksam bleibt unter uns. Denn Gott will nicht in sich bleiben. Er bezieht uns ein in die Fülle seines Lebens. Alles Reden darüber bleibt Stückwerk, auch die schlauen Gedanken der Theolog*innen und die Entschlüsse der Konzilien, natürlich auch meine Worte hier in diesem Impuls. Die Liebe Gottes ist jetzt schon ausgegossen in unsere Herzen und weckt die Hoffnung auf mehr, auf ihn selbst. Wir können von ihm Zeugnis geben, seine frohe Botschaft verkünden in dem Vertrauen, dass sein Geist uns führt. Er wird uns „in die volle Wahrheit führen“ (Evangelium vom Fest Joh 16.13). Wir sind mit unserem Verstehen immer noch unterwegs. Wie sollen wir diese Erfahrung zur Sprache bringen? Unser Reden, auch das Reden über die „Dreifaltigkeit“ ist nur Stottern, um nicht ganz zu schweigen.
Wir erleben jetzt, dass der „Einheitskatholizismus“ im Glauben zerbricht. Die Nachfolge Jesu braucht eine neue Sprache, ein neues Miteinander, eine Einheit in Vielgestaltigkeit, eine neue „Inkarnation“ vor Ort in den unterschiedlichen Kulturen, keine uniformierte Hierarchie. Die Schöpfungsgeschichte erzählt uns, dass Gott den Menschen als sein Bild erschuf… männlich und weiblich erschuf er sie (vgl. Gen 1,27). Gott selber ist in sich vielgestaltiges Leben, das wir sprachlich etwas hilflos „Dreifaltigkeit“ nennen. Also dürfen auch wir als sein Bild vielgestaltig sein und leben, nicht nur „männlich und weiblich“, sondern auch geistlich: „Jeden/r wird die Offenbarung des Geistes geschenkt, damit sie anderen nützt.“ (1 Kor 12,7), jedem/r aber anders.
Es gibt ganz unterschiedliche Gaben des einen Geistes. Das hat unsere Kirche leider in den Hintergrund gedrängt. Der Klerus bis hin zum Papst hat gleichsam die Gläubigen enteignet, die vielen Charismen nur in der eigenen klerikalen Brust gebündelt. Die Glaubenden sollten nur hören und gehorchen. Ein Bild dafür die Beerdigung von Papst Franziskus und die Einführung von Leo XIV. Zu sehen war eine barocke Inszenierung der Männerherrschaft in der Kirche, große Blöcke, fein sortiert nach Hut, Farbe und mittelalterlichen Gewändern. Frauen „durften“ nur Lesung und Fürbitte sprechen. War das ein Bild dafür, dass Männer und Frauen nur zusammen Bild dieses Gottes sind? War das Achtung vor den unterschiedlichen Gaben des Geistes?
Noch ein Hinweis: Es geht bei den Übersetzungen in andere Sprachen auch um eine kulturelle Übersetzung. „Der“ Geist – im Hebräischen heißt es „Ruach“, das ist ein weibliches Wort, im Griechischen steht dort „Pneuma“, das ist sächlich, erst im Lateinischen heißt es „Spiritus“, also männlich, wie dann auch im Deutschen. Haben wir durch die Übersetzung etwas verfälscht? Heute übersetzt man manchmal „Geistkraft“, also „die“ Geistkraft. Die Mission in der Welt war in den vergangenen Zeiten weitgehend eine Latinisierung im Glauben. Haben wir dadurch auch die weibliche Seite in unserem Gottesbild verdunkelt? Muss die Kirche nicht die Eigenständigkeit in den unterschiedlichen Kulturen ernstnehmen?
Der „Einheitskatechismus“ wird der Pluralität der Sprachen und Kulturen nicht gerecht. Die Wahrheit kann nicht mehr einfach von einem Punkt der Welt aus reglementiert werden. Wir brauchen Gespräch, Erfahrungsaustausch wie damals, als deutlich wurde, dass auch den „Heiden“ der Geist geschenkt wurde. Es gab auch vier Evangelien mit unterschiedlichen Gottesbildern und Jesusgeschichten, die in verschiedenen Gemeinden gewachsen waren. Trotzdem wuchs die „eine“ Kirche. Das haben wir heute neu zu lernen. Da haben wir heute neue Chancen auch für das ökumenische Miteinander und das Gespräch mit anderen Religionen. Bei der „Weltsynode“ sollten alle mitreden, aber nur der Papst entschied dann. Manche Fragen hatte er auch noch zuvor zur Sicherheit eigens von ihm auserwählten Kommissionen (z. b. für die Fragen der Diakonatsweihe für Frauen, die Rolle der Bischöfe etc.) vorbehalten. So wird es nicht weitergehen. Was alle angeht, soll auch von allen, denen der Geist die unterschiedlichen Gaben schenkt, auf den verschiedenen regionalen Ebenen mitentschieden werden.
Die „Lehre“ von der Dreifaltigkeit Gottes, seiner inneren Vielgestaltigkeit, hat Konsequenzen, wenn wir sie ernstnehmen. Da sind wir erst am Anfang, vermutlich ist immer neuer Anfang nötig auf dem gemeinsamen Weg. Dennoch: Wir dürfen staunend erleben, dass diesem Gott etwas an uns liegt. Wir dürfen staunend erfahren, dass er uns liebt, dass er mich liebt und dich, alle, gerade auch die, die sonst keine Liebe erfahren. Jede*r kann zu ihm kommen. Sein Geist lebt in mir und in dir. Ich habe unmittelbaren Zugang zu ihm genauso wie du. Auch die äußerste Bedrängnis des Todes kann seine Liebe zu uns nicht zerbrechen. Wir sterben in die Fülle Gottes hinein.
Da geht es nicht mehr um schlaue Worte oder um komplizierte Definitionen, sondern um unsere Antwort: um staunende Dankbarkeit und Liebe. Wir wollen in Augenblicken der Stille uns darauf einlassen, staunen und danken!
Gebet
Dreifaltiger Gott,
Du Vater, Geheimnis und Urgrund unseres Lebens.
Du Sohn, menschliche Nähe dieses Gottes.
Du Geist, vielgestaltiges Geschenk Gottes an uns Menschen.
Wir staunen darüber, dass dir an uns etwas liegt.
Wir staunen darüber, dass du uns liebst.
Wir staunen darüber,
dass du uns an der Fülle deines Lebens teilhaben lässt.
Schenk uns eine lebendige Erfahrung deiner Nähe
in aller Unterschiedlichkeit unseres Lebens,
in aller Dunkelheit und Bedrängnis,
in aller Liebe und Freude, in allem Gelingen,
damit wir etwas davon weitergeben können
an die Menschen, die uns brauchen,
an die Menschen, von denen wir leben.
Wir wollen dir danken, nicht nur mit Worten,
sondern mit unserem ganzen Leben.
Unsere Welt schreit aus vielen Wunden
nach einem solchen Gott,
nach solchen Menschen.
Amen
Zum Schluss eine Lesehinweis: Hanns Dieter Hüsch (1989 auf dem evangelischen Kirchentag):
„Religiöse Nachricht… Gott sei aus der Kirche ausgetreten.“ Da heißt es am Schluss:
„Doch den größten Teil der Menschen sah man hin und her durch die Kontinente ziehen, und sie sagten: Kommt. Wir suchen ihn.“